Devils Marbles in der Morgensonne

Im Roten Herzen Australiens

Wir sitzen in Alice Springs bei einem Glas Wein und lassen die letzten Tage Revue passieren. Dass wir den Wein dazu trinken, ist nicht selbstverständlich. Der Verkauf von Alkohol ist im Zentrum Australiens streng reglementiert. Hier, wo viele Aborigines leben, denen einst das Land und damit auch ihre Vision genommen wurde, ist der Alkoholkonsum unter der indigenen Bevölkerung ein großes Problem. Schwerbewaffnete bewachen die Eingänge jener Läden, in denen Alkohol verkauft wird. Hat man es bis hineingeschafft, muss man sich an der Kasse zunächst einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen. Der Pass wird gescannt.

Den hatte Jörg dummerweise beim Kauf einer Flasche Wein nicht dabei. Man sei dazu berechtigt, hieß es auf seine verwunderte Nachfrage und man verwies auf einen großen Aushang mit Gesetzen und Paragrafen. Jörg nimmt sein Geld und lässt den Wein, wo er ist. Wenig später auf dem Campingplatz bekommen wir einen Berechtigungsschein zum Alkoholerwerb. Im benachbarten Geschäft versuchen wir erneut unser Glück. Lächelnd meint die Verkäuferin, dass der Verkauf von Alkohol vor 12 Uhr nicht erlaubt sei. Nun wollten wir uns nicht schon Mittag die Kante geben und erstehen unsere Flasche Wein gegen Abend im dritten Anlauf. Das Schlimme an der Sache ist, dass die Restriktionen ihre Wirkung völlig verfehlen, denn die Leute, die Alkohol brauchen, wissen zu jeder Tag- und Nachtzeit, wie sie an den Stoff gelangen.

Nun stoßen wir an und lassen die Eindrücke der letzten Woche setzen: Als da war zunächst die grottige Anfahrt zum Kings Canyon. Mit 15 Kilometer pro Stunde ging es durch Tiefsand und über Wellblech. Der Nissan hatte schwer zu kämpfen, zumal wir bis unter die Decke mit Vorräten beladen waren. Die Wanderung in den Canyon hinein war den Umweg nicht wert, die zweite Tour am oberen Rand der Schlucht umso mehr. Am Abend versanken die Felswände im glühenden Rot – ein kleiner Vorgeschmack auf das was nun folgen sollte. Zunächst zogen wir jedoch lange Gesichter. Als wir zum Uluru aufbrachen präsentierte sich der Himmel grau in grau. So verabschiedeten wir uns von dem Gedanken, dass mitten im Outback immer die Sonne scheinen würde. In schöner Regelmäßigkeit schleudert das antarktische Polarmeer dicke Wolkenfelder über den Kontinent, deren Ausläufer auch die Mitte Australiens erreichen.
Die zweite Erfahrung, die wir machen durften war, dass sowohl der Uluru als auch die benachbarten Olgas auch bei trübem Wetter in interessanten Farben leuchten. Ein angenehmer Nebeneffekt dabei ist, dass man beim Fotografieren nicht auf Schatten achten muss. In den Olgas gingen wir wandern. Dabei bemerkten wir, dass das kleine Inselgebirge längst kein Geheimtipp mehr ist. In kurzen Abständen steuern Touristenbusse die Parkplätze an und entlassen ihren Inhalt zu den nächst gelegenen Aussichtspunkten. Auf den Wanderparkplätzen ist am Vormittag kein freier Platz mehr zu finden, die Leute schlängeln sich durch das Valley oft the Winds. Wir tragen‘s mit Fassung und halten unterwegs den einen oder anderen angenehme Schwatz mit Wanderern aus aller Welt.

Apropos Welt – die versammelt sich allabendlich am Parkplatz auf der Westseite des Uluru. Wer einigermaßen Aussicht haben möchte, sollte zeitig da sein. Die meisten Leute bringen neben ihren Fotoapparaten auch Tische und Stühle mit und machen es sich am Ausguck gemütlich.  So ist bald ein Stimmengewirr aus aller Herren Länder zu hören. Schnell kommt man mit den Nachbarn ins Gespräch und tauscht sich über Fotopraxis aus. Naht das große Ereignis, wird hier und da eine Flasche geköpft und auf den Sonnenuntergang angestoßen. Dabei strahlt der Berg nicht immer in tiefem Rot. Die Leuchtfarbe ist von der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Staubgehalt und natürlich der Bewölkung abhängig. Nachdem das Zentralgestirn versunken ist, brechen die Leute in aller Eile wieder auf, denn die Luft wird schnell frisch. Und so bekamen die meisten gar nicht mit, dass plötzlich der Vollmond über dem Uluru aufging – ein wahnsinnig schönes Ereignis. Wir wohnten dem Schauspiel noch lange bei und mussten uns schließlich beeilen, vor Toresschluss den Nationalpark zu verlassen.
Auf dem völlig überteuerten Campingplatz erwartete uns eine unruhige Nacht. Im nahegelegenen Kraftwerk, das den Touristenort Yulara mit Strom versorgt, brummen die Dieselaggregate rund um die Uhr. Außerdem herrscht auf dem Platz bis tief in die Nacht Verkehr, wenn die Leute von den zahlreichen Events im Ort zurückkehren. Eines davon durften wir am nächsten Abend erleben, als wir staunend vor dem Field of Light standen. Hier leuchten über 300 000 Lämpchen mitten in der Wüste und wechseln ständig ihre Farbe. Verbunden sind die Lampen mit 380 Kilometer Glasfaserkabel, das ebenfalls in allen denkbaren Farben leuchtet.
Und auch scheinbar in der tiefsten Nacht klappern die Autotüren erneut, wenn die Leute abermals zum Uluru aufbrechen, um den Sonnenaufgang zu erleben. Statt uns über den geraubten Schlaf zu ärgern, beschließen wir kurzerhand mitzufahren. Die Temperaturen liegen um den Gefrierpunkt und ein eisiger Sturm fegt uns um die Nase. Als wir dem Berg näher kommen steigen die Temperaturen schlagartig um 10 Grad an. Babsi frohlockt, muss sie sich doch nicht in der Kälte draußen hinstellen. Ihr Gesicht wird allerdings immer länger, als es am Ziel erneut fröstelt. Für kurze Zeit sind wir durch den Wind gefahren, der die vom Uluru gespeicherte Wärme mit sich genommen hat. Leider hatten wir das Vergnügen nur wenige Minuten.
Als es wärmer wird, packen wir die Räder aus. Bei der Umrundung des Monolithen kommen wir an einem Tor vorbei, das weit offensteht. Ranger öffnen bei entsprechendem Wetter den Aufstieg zum Gipfel des Uluru. Trotzdem das von den Aborigines nicht gern gesehen wird, machen sich dutzende Leute auf den Weg. Warum es geduldet wird, hat einen einfachen Grund, nämlich Geld. Da die Besteigung des Berges vor allem bei asiatischen Touristen inzwischen zum Kult avanciert, befürchtet man, dass diese bei Schließung des immerhin nicht einfachen Weges ausbleiben. Uns war es am Ende egal, ob der Aufstieg offen oder geschlossen ist. Das rote Herz Australiens gehörte auf alle Fälle zu unseren Zielen.

Noch lange diskutieren wir über die vielen Informationen, die wir zum Leben der Aborigines bekommen haben, und über unsere widersprüchlichen Eindrücke. Einiges erinnert uns an den Alltag in Afrika. Inzwischen ist es spät geworden. Wir stellen die halbleere Flasche Wein zurück in den Kühlschrank. Noch einmal wollen wir das Prozedere des Erwerbs einer weiteren Flasche Wein in Alice nicht über uns ergehen lassen.

Geschrieben am 22.08.2018 und abgelegt unter: Australien

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