Südlicher Norden
Im Sommer wollen fast alle in den Süden. Im Falle Portugals ist das die Algarve, ein bekanntes Urlaubsziel. Wir besuchten stattdessen den Norden des relativ kleinen Landes. Und dieser Norden ist aus hiesiger Sicht ja immer noch sehr südlich gelegen.
In Porto und Umgebung finden sich weniger große Hotels, dafür viele reizvolle Ziele, Sehenswürdigkeiten, die alles andere als überlaufen sind, hübsche kleine Städte, preiswerte Pensionen, Berge und Flüsse, Meer und Strand. Wer möchte, nimmt sich einen Mietwagen und fährt über ruhige Straßen zuerst nach Guimarães. Warum? Weil dasLand dort geboren wurde. „Aqui nasceu Portugal“, steht an einem alten Gemäuer und auch in den Geschichtsbüchern.
In der Burg von Guimarães erblickte Afonso Henriques um 1109 das Licht der Welt. Der erste König Portugals wacht als grimmig Gerüsteter denkmälern vor seiner Geburtsstätte, die heute inmitten eines Parks liegt und besichtigt werden kann. Ganz Guimarães lohnt der Besichtigung, malerische Häuser reihen sich an Plätzen und Straßen, einfachere kleine, aber auch großbürgerlich wirkende mit der Ausstrahlung der Fin-de-Siecle-Zeit. In einer Kneipe, deren Decke voller Fußballschals hängt, essen wir Bohnen und Stockfischbällchen. An richtigen Stockfisch (Bacalhau), das portugiesische Nationalgericht, trauen wir uns nicht ran.
Abends in der Pension lesen wir von Teresa und Afonso, keinem romantischen Liebespaar, sondern Mutter und Sohn. Teresa herrschte von 1112 bis 1128 über das nach Unabhängigkeit von Kastilien strebende Land; der Mann war gestorben, der Sohn zunächst noch minderjährig. Doch dann versuchte sie ihren Liebhaber auf den Thron zu bringen, wurde vom Sohn in der Schlacht von São Mamede geschlagen und in ein Kloster verbannt.
In Ponte de Lima, unserer nächsten Station, finden wir nichtsdestotrotz ein Denkmal für Dona Teresa. Die Dame begründete 1115 den hiesigen Markt (im Sinne von Messe), den ältesten des Landes. Jeweils am dritten Wochenende im September füllt der das Landstädtchen am Fluss Lima mit Gästen, Geschäftigkeit und Vergnügungsangeboten. Vergnüglich ist es hier ohnehin – die Laternen zum Beispiel sind mit Lautsprechern versehen, durch die Straßen dringt Musik. Selbst beim Flanieren auf der alten Bogenbrücke hört man die Klänge noch. Bei der Pilgererherberge drüben wird’s ruhiger.
Stichwort Pilgern: Bom Jesus do Monte wollen wir mit eigenen Augen sehen. Das Heiligtum bei Braga kennen wir aus Reiseführern, diese effektvolle, weiße Treppenanlage am Berg. Ein schattiger Parkplatz (kostenlos!) ist schnell gefunden, der Aufstieg beginnt. Die Anstrengung scheint nicht übermenschlich und wird mit tollen Blicken belohnt, auf die Treppe, auf die Kirche am Ziel und auf Braga, das zu Füßen von Bom Jesus liegt. Nonnen führen Touristen über das hübsch begärtnerte Gelände, man kann aber auch einfach so herumgucken. Der Weg nach oben ist von 17 Stationen gesäumt, von Brunnen, Pavillons und Statuen. Gezeigt wird der Leidensweg Jesu.
Bleiben wir beim Thema und wechseln den Ort: Bei Viana do Castelo, dort, wo der Lima in den Atlantik mündet, thront ebenfalls auf einem Berg die Wallfahrtskirche Santa Luzia. Im Stil erinnert sie an die berühmte Sacre Coeur von Paris, präsentiert sich bloß um vieles einsamer. Den Blick auf Küste, Stadt und Meer genießen wir mit zwei schicksalsergebenen Souvenirverkäufern, die Radio hören, um der langen Weile zu entgehen.
Was kann man noch empfehlen? Die befestigten Städte Caminha und Valenca am Minho, dem Grenzfluss zu Spanien, Amarante, das erwähnte Braga sowie Vila do Conde, auch Vila Praia de Ancora, ein unspektakuläres, aber erholsames Ferienziel am Meer. Im Lebensmittelladen dort kommen wir mit dem Inhaber ins Gespräch. Er erkundigt sich ernsthaft, ob Ost- und Westdeutsche die selbe Sprache sprechen. Wir sagen: Ja.
Schließlich Porto. In Ermangelung eines Parkplatzes quetschen wir das Auto neben eine Mülltonne, suchen zu Fuß eine Unterkunft und entdecken Spektakuläres in der Rua Santa Catarina: Das Castelo Santa Catarina, eine Pension, die aus einem 100 Jahre alten Bilderbuch zu stammen scheint. Aus den Badfenstern schauen wir über die zweitgrößte Stadt Portugals, eine traurige Schönheit. Aber eine Schönheit. Unten am Fluss schaukeln die Portweinboote, sind die Freisitze gut gefüllt, von der Dom-Luís-Brücke springen Jugendliche in die Wellen des Douro. Nicht weit davon finden wir Leerstand und Verfall, dann wieder Ladenlokale in schönstem Jugendstil und historische Kirchen. Das erinnert uns an eine verblichene Republik, nicht sehr reich, nicht sehr hektisch, eher gemächlich und gemütlich. Ebenso erinnern der Flughafen von Porto sowie manche Straßen und Autobahnen an den Osten Deutschlands – von der EU geförderte Infrastruktur, die überdimensioniert wirkt.
HB